Nie war ein Sommer wärmer als 2024, schrieb der EU-Klimawandeldienst Copernicus noch am 6.9.2024. Wenige Tage später verursachte Sturmtief »Boris« die stärksten Niederschläge, die jemals in Mitteleuropa gemessen wurden Und jetzt die Katastrophe in Spanien mit mehr als 155 Toten.
Bereits kurz nach »Boris« folgte dann das Hochwasser in Polen, Tschechien, Österreich und Rumänien. Es richtete große Verwüstungen an. Mindestens 24 Menschen starben, Tausende mussten ihre Häuser verlassen.
Aktuell sind Regionen im Südosten Spaniens betroffen. Anhaltende Regenfälle verursachten Überschwemmungen in der Gegend von Málaga bis Valencia. Unzählige Straßen verwandelten sich blitzschnell in reißende Ströme. Straßen, Häuser und kleinere Brücken brachen weg. Bäume, Container, Autos, Lastwagen und Menschen wurden vom Wasser mitgerissen. Die Zahl der Menschen, die infolge der Sturzfluten nach Starkregen ums Leben kamen, ist bislang auf über 155 gestiegen. Mindestens 62 Menschen starben allein in Paiporta, einer Stadt mit rund 25.000 Einwohnern südlich von Valencia, weitere werden noch vermisst.
Denn vielerorts konnten Rettungskräfte nicht mit Fahrzeugen zu Einsatzorten vordringen. Einwohner berichteten von Hagelkörnern »so groß wie Golfbälle«. Rund 115.000 Haushalte waren ohne Strom, zudem gibt es weiter Probleme mit den Handyverbindungen. In einigen Gegenden fiel nach spanischen Medienberichten an einem einzigen Tag mehr Regen als sonst in einem Monat. Es handele sich um eine »noch nie dagewesene Situation«, sagte Regionalregierungschef Carlos Mazón. Der Wetterdienst Aemet in Valencia erklärte, es habe sich um den schlimmsten »kalten Tropfen« (gota fría) dieses Jahrhunderts in der Region gehandelt.
Diese Wettererscheinung tritt in der spanischen Mittelmeerregion in den Monaten September und Oktober häufig auf. Sie entsteht, wenn sich die ersten atlantischen Tiefausläufer mit feuchtkalter Luft über das warme Mittelmeer schieben. Da das Mittelmeer immer wärmer wird, wurden die Regenfälle in den vergangenen Jahren aber heftiger. Experten machen den Klimawandel als Ursache der enormen Regenfälle in Spanien verantwortlich, denn die Extremwetterereignisse sind mehr als Wetter.
Das konnten Forschende anhand einer jetzt veröffentlichten Attributionsstudie der World Weather Attribution (WWA) zeigen. Dafür haben sie die zehn tödlichsten wetterbedingten Naturkatastrophen seit 2004 analysiert. Die Studienleiterin kommt zu dem Schluss: »Der Klimawandel ist keine ferne Bedrohung. Er hat extreme Wetterereignisse verschlimmert.« Und er habe erheblich dazu beigetragen, dass dabei mehr als 570.000 Menschen getötet wurden. Ohne den Klimawandel hätte es weniger Opfer gegeben.
Bei einer Attributionsstudie nutzen Forschende Wetterdaten und vergleichen sie mit Werten aus Klimasimulationen. Das heißt, sie vergleichen so das aktuelle Wettergeschehen mit einem simulierten Wetter ohne die globale Erwärmung. Mit den so gefundenen Unterschieden können sie zeigen, inwieweit der vom Menschen gemachte Klimawandel für Extremwetterereignisse verantwortlich ist. In der jetzt veröffentlichten Arbeit haben die Forschenden drei Wirbelstürme im Indopazifik, vier Hitzewellen in Europa, zwei Starkregenereignisse und eine Dürre am Horn von Afrika analysiert.
Auffallend ist, dass allein vier der zehn untersuchten Ereignisse mit den meisten Todesopfern in Europa stattgefunden haben, sagt Friederike Otto, Mitbegründerin und Leiterin der WWA: »Der Klimawandel ist nicht weit weg, er trifft jedes Land, jede Stadt.« Ihr Fazit: Der Klimawandel – verursacht durch die Verbrennung fossiler Stoffe wie Gas, Kohle und Öl und die Abholzung der Wälder – hat die zehn tödlichsten Extremwetterereignisse seit 2004, die die Wissenschaftler analysiert haben, verschärft.
In Europa sind 2022 mehr als 53.000 Menschen und im Jahr 2023 mehr als 37.000 Menschen infolge der Hitze gestorben, so Klimaforscherin Otto. »Gerade hat eine Studie der ETH Zürich festgestellt, dass ohne den Klimawandel die Hälfte dieser Menschen überlebt hätte.« Die Forschenden mahnen: Nirgendwo sei man vor dem Klimawandel sicher – weder in armen noch in reichen Ländern. Denn der Klimawandel sei zwar keine entfernte Bedrohung, aber die »armen, am stärksten gefährdeten Menschen leiden am meisten unter den Extremwetterereignissen, die sich durch den Klimawandel verschlimmern.« Sie appelliert an die Politik: »Wir verfügen über die Technologien, um fossile Brennstoffe durch erneuerbare Energien zu ersetzen und eine sicherere, gesündere Welt aufzubauen. Aber wir brauchen eine politische Führung, die sich dafür engagiert und dies möglich macht.«
Neben einem Ersatz für fossile Brennstoffe und dem drastischen Rückgang der weltweiten Emissionen fordern die Wissenschaftler vor allem mehr Hochwasserschutz, bessere Frühwarnsysteme, Schutzdämme, Begrünung in den Städten und Renaturierung von Flüssen – und mehr Attributionsforschung, damit die Menschen den Einfluss des menschengemachten Klimawandels auf Extremwetterereignisse besser verstehen.
Laut einem neuen Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) müssen sich die Staaten in der nächsten Runde der national festgelegten Beiträge (Nationally Determined Contributions – NDC) gemeinsam dazu verpflichten, die jährlichen Treibhausgasemissionen bis 2030 um 42% und bis 2035 um 57% zu senken. Und dies zugleich mit raschen Maßnahmen untermauern.
Die aktualisierten NDCs sollen Anfang nächsten Jahres im Vorfeld der COP30-Klimagespräche in Brasilien vorgelegt werden. Der UNEP-Bericht zur Emissionslücke 2024 (No more hot air … please!) kommt zu dem Schluss, dass die Welt auf einen Temperaturanstieg von 2,6 bis 3,1°C im Laufe dieses Jahrhunderts zusteuern würde, wenn die neuen NDCs nicht ehrgeiziger werden und nicht sofort mit der Umsetzung begonnen wird. Dies hätte verheerende Folgen für die Menschen, den Planeten und die Volkswirtschaften.
Das 2,6°C-Szenario basiert auf der vollständigen Umsetzung der derzeitigen bedingungslosen und bedingten NDCs. Nur die Umsetzung dieser NDCs würde zu einer Erwärmung von 2,8°C führen, die Fortsetzung der derzeitigen Politik zu einer Erwärmung von 3,1°C. Unter diesen Szenarien – die alle mit einer Wahrscheinlichkeit von über 66% arbeiten – würden die Temperaturen bis ins nächste Jahrhundert hinein weiter ansteigen. Durch zusätzliche Netto-Null-Zusagen zur vollständigen Umsetzung der NDCs könnte die globale Erwärmung auf 1,9°C begrenzt werden, doch besteht derzeit wenig Vertrauen in die Umsetzung dieser Netto-Null-Zusagen.
»Die Emissionslücke ist kein abstrakter Begriff« sagte der UN-Generalsekretär António Guterres in einer Videobotschaft zum Bericht. »Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen steigenden Emissionen und immer häufigeren und intensiveren Klimakatastrophen. Überall auf der Welt zahlen die Menschen einen schrecklichen Preis. Rekord-Emissionen bedeuten Rekord-Meerestemperaturen, die Monster-Hurrikane anheizen; Rekord-Hitze verwandelt Wälder in Zunderbüchsen und Städte in Saunen; Rekord-Regenfälle führen zu biblischen Überschwemmungen.«
Der Ball liegt also bei den politischen Akteuren weltweit.
Björn Radke
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