
Klimaschutz der schwarzroten Koalition
In Zeiten geopolitischer Spannungen und wachsender globaler Herausforderungen rutscht die Bedeutung des Klimaschutzes trotz der immer spürbarer werden Folgen des Klimawandels aus dem Fokus. In der dreiseitigen Präambel des frisch vereinbarten Koalitionsvertrags zwischen der Union und der SPD kommt das Klima kein einziges Mal vor.
Umweltverbände wie Greenpeace, die Deutsche Umwelthilfe und der WWF haben sich kritisch zu den Klimaschutzvorhaben im vereinbarten Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD geäußert. Der Grünen-Vorsitzende Banaszak warf der zukünftigen Regierung vor, die ökologische Krise in ihrem Koalitionsvertrag nicht anzugehen.
Als die neue Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) das Amt von ihrem Vorgänger Robert Habeck übernahm, fand sie warme Worte für den Grünen-Politiker. Die CDU-Politikern erinnerte daran, wie Habeck nach der Corona-Zeit und beim Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Frühjahr 2022 die folgende Energiekrise gemanagt habe: „Ich möchte Ihnen danken für diese fast übermenschliche Leistung“, sagte Reiche. Habeck habe dazu beigetragen, dass „dieses Land durch diese Krise kam“, und dabei auch unpopuläre Entscheidungen getroffen. Mittlerweile macht sich Reiche aber daran, Habecks wichtigstes Gesetz, das „Gebäude-Energiegesetz“ (im Volksmund kurz Heizungsgesetz genannt) so zu ändern, dass von seiner Substanz wenig übrigbleibt. Das Gesetz schreibe in seiner jetzigen Form mehr oder weniger eine Technologie vor, nämlich die Wärmepumpe. „Es gibt de facto ein Betriebsverbot für Gasthermen, die vor 1991 eingebaut wurden“, so die CDU-Politikerin. „Zunächst müssen wir dieses Betriebsverbot abschaffen, um wieder Ruhe in den Markt zu bekommen.„
Von Unruhe kann aber angesichts der Faktenlage gar nicht die Rede sein. In den ersten drei Monaten dieses Jahres stieg der Absatz in Deutschland im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 35 Prozent auf 62.000 Stück. Das teilte der Bundesverband Wärmepumpe in einer Presseerklärung mit. Der Geschäftsführer der Organisation, Martin Sabel, sprach von „Licht am Ende des Tunnels“. Die staatliche Förderung von bis zu 70 Prozent der Kosten sei mittlerweile „etabliert“, im gesamten Jahr erwarte der Verband einen Absatz von 260.000 Wärmepumpen.
Die neue Ministerin Reiche teilte außerdem mit, neben dem Klimaschutz habe ab sofort auch die Versorgungssicherheit Vorrang bei der Regierung. Dazu gehöre, dass neue Gaskraftwerke mit einer Gesamtleistung von rund 20 Gigawatt gebaut werden sollten. Gas ist umweltfreundlicher als Kohle, aus dessen Verstromung Deutschland bis 2038 aussteigen will und die derzeit noch etwa 20 Prozent des deutschen Stroms liefert. Auch die alte Regierung hatte deshalb den Bau von Gaskraftwerken befürwortet, allerdings nicht in dem von Reiche genannten Umfang.
Auch unter Reiches Vorgänger Robert Habeck beschloss man den Bau von Gaskraftwerken. Doch die große Frage ist: Benötigt man wirklich derart viele Kraftwerke und was passiert mit diesen ab 2040, wenn Deutschland 88 Prozent weniger CO₂ emittieren sollte als 1990? Habeck rechnete noch mit rund zwölf Gigawatt »steuerbarer Leistung«, also stabilen Kapazitäten im Netz, die etwa in Dunkelflauten angezapft werden könnten, wenn wenig Wind bläst oder die Sonne nicht scheint. Ein Teil davon sollte aber auch durch Batterien aufgefangen werden; die meisten Gaskraftwerke hätten laut Habeck bereits von vornherein wasserstofffähig sein müssen. Seine Idee: Wenn man schon Gas benötigt, muss dieses zeitnah durch Wasserstoff ersetzt werden können, der mit Ökostrom erzeugt wird.
Diese Diskussion ist nun beendet. Die Energiepolitik soll im neuen Wirtschaftsministerium an erster Stelle stehen. Klimaschutz muss laut Reiche demnach hinter Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit zurückstehen. Nötig sei ein Realitätscheck der Energiewende, denn der Ausbau der erneuerbaren Energien habe auch Kosten etwa für Netzausbau und Netzengpässe verursacht. Nach Berichten ersetzt Reiche nun alle Staatssekretäre mit Grünen-Parteibuch. Reiche kommentierte ihre Personalentscheidungen mit den Worten: „Ich würde mir wünschen, dass dieses Haus wieder das ordnungspolitische Gewissen der Bundesregierung wird.“
Der Expertenrat für Klimafragen[1] äußert in seinem jüngsten Bericht[2] auch seine Skepsis gegenüber den Plänen der Bundesregierung zum Einhalt der Klimaneutralität bis 20245. Zwar seien im Koalitionsvertrag zahlreiche klimapolitisch relevante Vorhaben aufgeführt, etwa zur Gebäudesanierung oder Infrastruktur. Doch die Ausgestaltung sei noch offen. In der Summe sei eher mit neutralen oder leicht emissionssteigernden Effekten zu rechnen.
„Von den im Koalitionsvertrag angekündigten Vorhaben geht nach heutigem Stand kein nennenswerter positiver Impuls für die Zielerreichung 2030 aus“, heißt es in dem Prüfbericht. „Damit besteht die Gefahr, dass sowohl die Ziele 2030 nicht erreicht werden als auch das Ziel der Klimaneutralität 2045 außer Reichweite gelangt.“ Zudem warnt der Expertenrat vor weiterem Schutz der fossilen Elemente: „Die mit dem Sondervermögen geplanten Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur können sowohl der Transformation zur Klimaneutralität einen Schub geben als auch die Gefahr einer gegenüber den Projektionsdaten 2025 emissionssteigernden Wirkung bergen, wenn dadurch gegenüber dem ansonsten erreichten Pfad die fossile Verkehrsleistung erhöht und die Elektrifizierung im Gebäudesektor vermindert werden würde. In der Summe geht der Expertenrat davon aus, dass von den Ankündigungen im Koalitionsvertrag je nach Ausgestaltung kein signifikanter bis leicht emissionssteigernd wirkender Effekt im Vergleich zu der hier getroffenen Feststellung zu den Projektionsdaten 2025 ausgeht.“/S.160
Höchstens bis 2030 dürften laut dem Bericht die CO₂-Einsparziele des Klimaschutzgesetzes insgesamt noch eingehalten werden. Das liege aber nicht an einer weitsichtigen Klimapolitik, sondern vorwiegend an der schwachen Konjunktur der vergangenen Jahre. Durch diese sei zwischen 2020 und 2023 ein CO₂-Puffer entstanden, der aktuelle Verfehlungen ausgleiche.
Laut dem Klimaschutzgesetz muss der neue Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) bis Ende März 2026 ein neues Klimaschutzprogramm vorlegen – erstmals mit einem konkreten Plan, wie man die Klimaneutralität erreichen will. Bisher beschrieben solche Papiere höchstens die Entwicklung bis zum Ende des Jahrzehnts. Der Expertenrat gibt der Bundesregierung auch Handlungsempfehlungen mit: „Der Expertenrat empfiehlt daher, das anstehende Klimaschutzprogramm neben der Sicherstellung der Zielerreichung für das Jahr 2030 auch explizit auf die hier identifizierten Problembereiche und die langfristige Erreichbarkeit der THG-Neutralität auszurichten.
„Wie schon in ERK (2025) dargelegt, sollte nach Auffassung des Expertenrats angesichts der erheblich veränderten Rahmenbedingungen und der starken Wechselwirkung mit anderen Politikfeldern Klimaschutzpolitik breiter gedacht und umfassend eingebettet werden. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der enormen Herausforderungen, die sich für die Erreichung des Ziels der THG-Neutralität ergeben. Vor dem Hintergrund, dass zudem die Zuständigkeit für die Themen Klimaschutz und Energie nun auf verschiedene Ministerien fällt, kommt es nach Auffassung des Expertenrats umso mehr auf einen zentralen Koordinierungsmechanismus innerhalb der Regierung an. Der Expertenrat erneuert damit seine Empfehlung der Wiedereinführung des Klimakabinetts, zur besseren Integration verschiedener Politikfelder.“ /S.189
Die Bundesgeschäftsführerin Politik beim BUND, Verena Graichen, sieht einen bei den Plänen der Wirtschaftsministerin einen „Rückwärtsgang bei der Energiewende“.
Mit diesen Plänen droht Deutschland wieder verstärkt in fossile Abhängigkeit zu geraten – mit allen bekannten Risiken. Die Antwort auf die Klimakrise und hohe Energiepreise kann nur ein beschleunigter, naturverträglicher und sozialverträglicher Ausbau der Erneuerbaren sein.
Björn Radke (OV-Tave-Land)
[1] Der Expertenrat für Klimafragen, kurz ERK, auch Klimarat, ist ein auf Basis des deutschen Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) im August 2020 eingerichtetes Gremium mit Sitz in Berlin. Es prüft die vom Umweltbundesamt vorgelegten Emissionsdaten und legt der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag eine Risikobewertung der veröffentlichten Daten vor. Vorbilder für den deutschen Klimarat auf Bundesebene sind Beratungsgremien im Rahmen der Klimaschutzgesetze auf Ebene der Bundesländer und das Committee on Climate Change in Großbritannien. Das britische Gremium hat jedoch eine herausgehobene Rolle im dortigen Klimaschutzrecht: Es erstellt zentrale Fortschrittsberichte zur Evaluierung der CO2-Budgets und zur Erreichung der Klimaschutzziele. Der Expertenrat in Deutschland hat diese Kompetenzen nicht.
[2] https://expertenrat-klima.de/content/uploads/2025/05/ERK2025_Pruefbericht-Emissionsdaten-2024-Projektionsdaten-2025.pdf
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