Fakten für ein Rollback?
Nach Amtsantritt der schwarz-roten Koalition machte die Bundesministerin für Wirtschaft und Energie, Katherina Reiche (CDU), deutlich, dass die von der Vorgängerregierung betriebene Energiewende abgebremst werden soll. Die Nachfolgerin von Robert Habeck kündigte an, die Energiewende einem »Realitätscheck« zu unterziehen, mit dem Ziel Kosten zu sparen.
Unter anderem wollte sie den Ausbau der erneuerbaren Energien und des Stromnetzes »synchronisieren« lassen und die Betreiber von Ökostrom-Anlagen am Netzausbau beteiligen. Ein starkes Signal war daher die Entscheidung der Koalition, die Stromsteuer für private Haushalte nicht auf das europäische Mindestmaß zu senken – anders als im Koalitionsvertrag angekündigt. Als Begründung wurden fehlende finanzielle Mittel genannt. Gleichzeitig wurde jedoch die Gasspeicherumlage abgeschafft.
Jetzt wurden die Ergebnisse eines Energiewende-Monitorings vorgelegt. Die Bundesregierung hatte den Prüfauftrag an das Energiewirtschaftliche Institut an der Uni Köln (EWI) und die Beratungsgesellschaft BET Consulting vergeben. Energieexpert*innen und Umweltverbände hatten die Vorgaben von Wirtschaftsministerin Reiche für den Bericht kritisiert. Die beiden beauftragten Institute sollten keine eigenen Berechnungen anstellen, heißt es, sondern nur die Prognosen von 13 vorhandenen Studien auswerten.
Als Leitschnur fürs Monitoring dienen Kosteneffizienz und Versorgungssicherheit. Seit ihrem Amtsantritt hat die Wirtschaftsministerin jede Gelegenheit genutzt, um das Zerrbild vom ungezügelten Ausbau der Ökoenergie zu zeichnen und die hochsubventionierten Wind- und Solarparks zum Problem zu erklären. Sie hat Gas und Kosteneffizienz in den Fokus gerückt und sämtliche staatliche Förderung infrage gestellt.
In dem vorliegenden Bericht »Energiewende. Effizient. Machen«[1] heißt es in der Zusammenfassung: »In den Szenarien, die von einer Erreichung der Klimaziele ausgehen, wird ein starker Anstieg des Strombedarfs projiziert. Die untersuchten explorativen Szenarien gehen von einem moderateren Anstieg der Stromnachfrage aus, dabei kommt es aber zur Verfehlung der Klimaziele. Die Entwicklung des Strombedarfs hängt wesentlich von zu treffenden klima- und industriepolitischen Entscheidungen ab. Eine Spannbreite von 600-700 TWh wird im Jahr 2030 sowohl von den explorativen Szenarien für erreichbar als auch von einigen normativen Szenarien als kompatibel mit der Zielerreichung identifiziert.«
Nahezu alle untersuchten Studien betrachten die Elektrifizierung des Endenergieverbrauchs in den Sektoren Gebäude und Verkehr als die wesentliche Dekarbonisierungsoption. Im Klartext: Das Monitoring liefert keine Grundlage für das von der Wirtschaftsministerin beabsichtigte Ausbremsen der Energiewende. Studienautor Alexander Kox vom Beratungsunternehmen BET sieht Deutschland bei der Energiewende grundsätzlich auf einem guten Weg: »Wir haben versucht, deutlich zu machen, wir sind on track, was Ausbauziele angeht […] Wir haben aber auch versucht, deutlich zu machen, dass wir die Kosten ein bisschen aus dem Auge verloren haben.« Es gebe durchaus Potenziale, die Maßnahmen »ein bisschen intelligenter« zu machen. Zum Beispiel sollen Stromnetze zukünftig wieder vermehrt überirdisch gebaut werden, statt sie teuer und langwierig unter die Erde zu verlegen.
Des Weiteren korrigiert der Bericht wie erwartet die Prognose des Strombedarfs nach unten. Statt 750 Terrawattstunden (TWh) im Jahr 2030 wird nur noch mit 600 bis 700 TWh gerechnet. Im vergangenen Jahr lag der Stromverbrauch in Deutschland bei rund 464 TWh. Grund sei, dass die Elektrifizierung der Industrie und der Aufbau von Elektrolyseuren zur Wasserstofferzeugung langsamer vorangehe, als erwartet. Andere Studien rechnen dagegen mit einem höheren Bedarf.
Wirtschaftsministerin Reiche will gleichwohl am Ziel festhalten, den Anteil der Erneuerbaren an der Stromproduktion bis 2030 auf 80% zu steigern. Doch 80% von 600 TWh sind deutlich weniger als 80% von 750 TWh – so könnte weniger Tempo durchaus gerechtfertigt werden. Das Monitoring darf allerdings nicht zur Fehlinterpretation führen, dass die Stromnachfrage mittel- oder langfristig so niedrig bleiben wird und wir uns weniger Energiewende leisten können. Das Gegenteil ist der Fall. Die Stromnachfrage wird nicht nur im Energiebereich steigen, sondern auch in der Industrie, im Verkehr und im Gebäudebereich. Sollen die Industriestrompreise weiter sinken, muss man die Erneuerbaren stärker ausbauen.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) behauptet: »Wir werden die Ausbauziele leicht zurücknehmen.« In einem 10-Punkte-Papier wird dazu genannt, dass Subventionen »auf das unbedingt nötige Maß reduziert« werden sollen, etwa die feste Einspeisevergütung für private Solaranlagen abgeschafft werden. Die feste Einspeisevergütung für kleine, private Solaranlagen soll wegfallen. Der Bundesverband Solar befürchtet, dass in der Folge die Bereitschaft zur Installation einbrechen würde.
Widerspruch bekommt die Wirtschaftsministerin vom Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD), der vor einer Drosselung beim Ausbau der erneuerbaren Energien warnt. Man sei bei der Energiewende auf einem guten Weg, dürfe sich jetzt aber »keinesfalls künstliche Hürden« aufbauen. Die Klimaneutralität 2045 hält er weiterhin für erreichbar. Ob die SPD als kleiner Partner der Koalition wirklich dagegenhalten wird, darf bezweifelt werden.
Umweltverbände und die Grünen warfen Reiche vor, die Ergebnisse ihres Berichts zu ignorieren. »Die Schlussfolgerungen der Ministerin haben nur wenig mit den tatsächlichen Ergebnissen zu tun«, sagte Grünen-Co-Chef Felix Banaszak. Die CDU-Politikerin setze auf höhere Subventionen für fossiles Gas und mache damit »die neuen Technologien wieder platt«, kritisierte Partei-Co-Chefin Franziska Brantner.
Schärfer formuliert die Deutsche Umwelthilfe (DUH) ihre Kritik. »Das Energiewende-Monitoring wäre die Chance, einen wissenschaftlich fundierten Rahmen für die Energiewende zu schaffen. Stattdessen hat die Ministerin die Empfehlungen des Gutachtens offenbar nicht sorgfältig gelesen und vertritt ihre vorgefasste Meinung. Was Frau Reiche mit ›Planungsrealismus‹ meint, ist faktisch eine Ausbau-Bremse für die Erneuerbaren, der ›technologieoffene Kapazitätsmarkt‹ ist ein Einfallstor für neue fossile Abhängigkeiten. Eine sichere, bezahlbare und klimafreundliche Energieversorgung gelingt nicht mit fossiler Überkapazität in Form von unzähligen Gaskraftwerken. CCS/CCU als Klimaschutztechnologie zu verkaufen ist brandgefährlich – und das angebliche ›Subventionen senken‹ läuft in Wahrheit auf den Kahlschlag bei wichtigen Förderprogrammen hinaus, während fossile Beihilfen neu geschaffen werden sollen.«
Statt die Energiewende weiterzutreiben, würgt die schwarz-rote Koalition mit Wirtschaftsministerin Reiche als Executorin weitere Förderungen in diese Richtung ab. Klimaneutralität bis 2045 ist mehr als ein Versprechen. Es ist eine Verpflichtung. Und sie kann nur erfüllt werden, wenn alle Akteure mitgenommen werden. Ohne die massive Unterstützung politischer Entscheidungen bleibt das Versprechen auf Einhaltung der Klimaziele Makulatur. Und das Klima zeigt keinerlei Anzeichen, den Wandel zu verringern.
Schlussfolgerung: Um die Menschen vor den Folgen des Klimawandels zu schützen, müsste das Ausbautempo beibehalten oder verstärkt werden. Ansonsten werden die Kosten letztlich ansteigen. Rationale Klimapolitik erfordert den weiteren Ausbau der staatlichen Förderung.
Björn Radke / OV-GRÜNE Trave-Land
Anmerkung
[1] EWI & BET (2025): Energiewende. Effizient. Machen. – Monitoringbericht zum Start der 21. Legislaturperiode, im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie.
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